14. September 2021 | Berlin

Vom „kleinen Deutschland“

Im Bermuda-Dreieck der Klimapolitik

„Es wird schon nicht so schlimm kommen“ – „es ist so schlimm, dass wir sowieso nichts mehr tun können“. Das sind zwei Sätze, die ich so in verschiedenen Varianten oft höre. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Debatte. Zwischen diesen beiden Extremen ist aber auch der Raum, in dem Politik stattfindet.

Stattfinden könnte. Denn wenn man als Politiker Vorschläge macht, wie wir das Schlimmste verhindern noch können, dann hört man meist noch ein drittes Argument: Es mag ja eine gute Idee sein, aber Deutschland sei ja sowieso zu klein, um weltweit etwas auszurichten. Wer könne schon die Chinesen zwingen, auch CO2 einzusparen?

Verharmlosung, Resignation oder „Eh-zu-klein“-Ohnmacht – es ist ein argumentatives Bermudadreieck, in dem vieles verschwindet, was die Erderwärmung mildern könnte. Manchmal vertreten von ein und demselben Menschen: „Ach, die Menschheit hat doch immer Krisen gehabt und wenn Küstenregionen untergehen, können wir auch nichts mehr machen, außerdem, wer sind wir als kleines Deutschland, die Chinesen wollen jetzt auch so leben wie wir.“

Klingt für viele nachvollziehbar. Ich sehe es aber anders und viele Wissenschaftler*innen tun das auch. Im Folgenden will ich darlegen, wie das „kleine Deutschland“ völlig im Ernst eine Trendwende im CO2-Austoß herbeiführen kann.

 

Auf den Nachahmungseffekt setzen

Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und die größte in der EU. Wenn es Deutschland gelingt, aus der fossilen Energiegewinnung auszusteigen und gleichzeitig unsere Industrie nicht nur zu behalten, sondern sogar zu einer Industrie zu machen, die die besten klimaschonendsten Technologien herstellt, also wettbewerbsfähiger zu machen, dann wird das einen starken Nachahmungseffekt haben.

Wenn wir diejenigen sind, die die Technologien für CO2-freien Stahl, CO2-freie Autos, eine zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basierender und günstiger Stromversorgung, die beste Eisenbahntechnik entwickeln und exportieren, dann werden andere das auch wollen.

So war es in den Anfängen der erneuerbaren Energien. Damals schufen ein paar kluge Abgeordnete das Erneuerbare Energien Gesetz. Das ermöglichte es privaten Anbietern, Strom nicht nur für sich selbst zu produzieren, sondern zu sich lohnenden Preisen ins Netz einzuspeisen.

Heute gibt es Photovoltaik-Kraftwerke, die den Strom bei uns für unter vier Cent die Kilowattstunde produzieren können, in sonnenreicheren Ländern für unter ein Cent. Es war noch nie in der Geschichte der Menschheit möglich, so günstig Strom in großen Mengen zu produzieren.

 

In den Markt eingreifen

Um unser Klima zu schützen, muss die Politik in den Markt eingreifen. Ein gutes Beispiel ist die klassische Luftverschmutzung durch PKW.

Damit sich Unternehmen mit umweltfreundlichen Technologien durchsetzen, brauchen sie Hilfe. Und hier kommt die Politik ins Spiel. So war das schon immer. Es ist ein Eingriff in den Markt, der diesen zwingt, besser zu werden – mit den passenden Gesetzen. So entstand der Katalysator, so entstanden immer schadstoffärmere Autos.

Hätten damals nicht die Parlamente der Staaten mit den drei wichtigsten Märkten die Gesetze geschaffen, die die Autoindustrie gezwungen haben, sauberere Autos zu bauen: Wir würden heute noch in vollgequalmten Städten leben.

Dass Autos immer hübscher und schneller wurden, mag dem Markt zu verdanken sein. Dass Autos immer sauberer werden, ist der Politik zu verdanken.

Ein ebensolcher Eingriff ist jetzt auch notwendig, um immer weniger und bald gar keine fossilen Energien mehr zu verbrennen. Das fordern übrigens auch immer größere Teile der Industrie selbst.

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele Betriebe besucht. Die Firmenchef*innen sagten mir: Wir brauchen eine finanzielle Absicherung, damit es sich heute schon rechnet, auf CO2-freie modernste Technologie zu setzen. Eine solche Absicherung können CO2-Differenzverträge sein, auch Carbon Contracts for Difference genannt. Die Stahlindustrie braucht CO2-Differenzverträge beispielsweise, um in wasserstoffbasierte neue Typen von Hochöfen zu investieren.

 

Europäische Klimazölle einführen

An dieser Stelle höre ich meist das nächste Gegenargument: Macht es wirklich Sinn, dass wir unsere Industrie zwingen, mit teurem High-Tech CO2-freien Stahl und CO2-freie Autos herzustellen, während anderswo weiterhin billige CO2-Schleudern gebaut werden – ohne technische Neuerungen?

Ja, das macht es. Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt. Wer CO2-lastige Produkte hierher importieren will, wird nach den Plänen der EU-Kommission bald eine CO2-Grenzausgleichsabgabe bezahlen müssen. Das bedeutet, dass Stahl, der beispielsweise aus Dreckschleudern aus China stammt, hier mit Zöllen belegt wird – sofern wir eine neue Bundesregierung haben, die die Kommission zukünftig bei diesem Vorhaben unterstützt anstatt sie auszubremsen.

Damit wird eine CO2-neutrale Produktion auch in anderen Ländern interessant. Und wenn man zum größten Markt der Welt nur noch Zugang hat, in dem man CO2-freien Stahl oder CO2-freie-Autos produziert, dann werden eben Produktionstechniken, die das ermöglichen, attraktiv. Diese Technologien können wir in Deutschland entwickeln und auf den Markt bringen – wenn Politik den Unternehmen dabei hilft.

 

Gute Klimapolitik ist auch gute Industriepolitik

Das höre ich regelmäßig, wenn ich mich mit Unternehmensführungen und Betriebsräten treffe. Doch warum ist dann vieles nicht längst umgesetzt?

Ich glaube, dass Teile der Bundesregierung eine stärkere Regulierung des Marktes schlicht aus einer Marktgläubigkeit, also aus reiner Ideologie heraus ablehnen. Sie glauben, dass der Markt es schon richten wird, dass staatliche Eingriffe, das Marktgeschehen nur verzerren.

Das kann in Teilen auch stimmen. Zumindest für manche Produkte wie Erfrischungsgetränke. Bringt ein Hersteller ein Erfrischungsgetränk, das den Leuten nicht schmeckt, auf den Markt, dann werden die Leute es weniger kaufen. Andere Hersteller oder Rezepturen kommen auf den Markt. So gibt der Markt, also die Konsument*innen, Signale, die dazu führen, dass sich die besten Produkte durchsetzen.

Bei Produkten, die CO2 ausstoßen, fehlen diese Marktsignale. Die Menschen kaufen nicht in relevanter Zahl weniger Benzinautos oder benutzen weniger Kohlestrom, damit der Markt aufhört, diese zu produzieren. Im Gegensatz zu Limonade spürt die oder der Einzelne die Folgen seiner Kaufentscheidung gar nicht. CO2 ist unsichtbar, sein Effekt zeitverzögert, die Folgen tragen im Zweifelsfall die jungen Menschen in ein paar Jahren oder Menschen in anderen Teilen der Welt. Sie sind zu indirekt.

Das Marktsignal von Seiten der Käufer*innen ist zu schwach, um eine Wende bei den Produzent*innen herbeizuführen. Oder wie es der Niklas Stern 2006 schrieb: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die Welt je gesehen hat.“

Also muss die Politik als Repräsentantin gesellschaftlicher Interessen diese Marktsignale senden. Und das ist einer der Gründe, warum die CDU und leider auch erhebliche Teile der SPD  – von der FDP ganz zu schweigen – vielen Branchen nicht wirklich helfen. Denn diese rufen im Grunde nach Regulierung.

 

Was viele Menschen nicht glauben können: Es ist möglich

Eine gute Klimapolitik bedeutet eben nicht, Deutschland auf Dauerdiät zu setzen und anschließend China und Indien zu überzeugen, ebenso auf alles zu verzichten. Weltweit wirksame Klimapolitik zwingt weder uns noch andere zum Verzicht.

Jeden Tag trifft 5.000 Mal so viel direkte Sonnenenergie auf die Erde, wie die Menschheit an Energie verbraucht. Windkraft, Geothermie sind da noch gar nicht berücksichtigt. Wir können unsere Lebensgrundlagen retten, es gibt die Ideen und die Technologie. Wir müssen es nur anpacken und dafür brauchen wir Mehrheiten im Parlament.