Industrietour durch Bayern
Unterwegs für eine zukunftsfeste Wirtschaft
„Sozial-ökologische Transformation“, „Green Deal“, „Netto-Zero Industry Act“ – alles große Projekte, viele Konzepte und Gesetze, entstanden in der Politik, aus der Notwendigkeit den Klimaschutz zu meistern und wettbewerbsfähig zu bleiben. Zwar gibt es auch während politischer Verfahren Anhörungen und Austausch, doch wie wirken sich die letztlich beschlossenen Regelungen dann konkret aus, wie läuft die Umsetzung in den Unternehmen und wie kommt die Energiewende in unserem Land voran? Welche Regelungen sind hilfreich vor Ort und wo sollte die Politik nachsteuern?
Um mich mit den Menschen auszutauschen, die von unserer Arbeit tagtäglich betroffen sind, habe ich mich – wie immer in der parlamentarischen Sommerpause – eine Woche lang in Bayern mit verschiedensten Leuten in unterschiedlichen Industrien getroffen und diskutiert. Dabei habe ich wieder viele Erkenntnisse nach Berlin und nach Brüssel mitgenommen.
ZF und IG Metall, Schweinfurt
Die Stadt Schweinfurt hat fast so viele Arbeitsplätze wie Einwohner:innen. Dort, einem der wichtigen Industriezentren in Bayern und Deutschland, beginne ich meine Sommer-Industrietour 2024 und besuche gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Paul Knoblach ZF, einen der großen Player vor Ort. ZF hat stark auf E-Mobilität gesetzt, viel investiert und leidet nun unter den niedrigen Verkaufszahlen bei E-Autos. Wegen der aktuellen Flaute sind daher massiv Arbeitsplätze gefährdet.
Unsicherheiten wie es mit dem Verbrenner-Aus weitergeht verschlechtern die Situation massiv. Ein günstigeres regulatorisches Umfeld, also z. B. schnellere Genehmigungsverfahren und klare politische Unterstützung der Elektromobilität einschließlich der Ladesäuleninfrastruktur wären hilfreich für das Unternehmen. Nach dem Besuch in der Fertigung nahmen wir uns Zeit, um in Ruhe mit Vertretern der Gewerkschaft IG Metall die Situation zu diskutieren. Hier herrschte auch Einigkeit darüber, dass die größte Gefährdung der europäischen und deutschen Wirtschaft von China ausgeht und die Fertigung in Europa geschützt werden muss.
Max Bögl, Neumarkt
Transformation als Chance: Beim Bauunternehmen Max Bögl in Neumarkt, wo wir mit meinem Kollegen Stefan Schmidt MdB waren, versucht man mit aller Kraft, die Chancen der Transformation auszuspielen. In Sengenthal bei Neumarkt werden zum Beispiel Betonelemente für die Türme von Windkraftanlagen hergestellt. Die Präzision von einem Zehntel Millimeter hat mich sehr beeindruckt. Das Familienunternehmen sucht nach Nischen und Alleinstellungsmerkmalen und damit gelingt offensichtlich die Aufstellung für die Wirtschaft der Zukunft sehr gut. Aber es bleibt noch viel zu tun – ein Wunsch an die Verkehrspolitik ist die Unterstützung für einen Hafen, um die gebauten Betonteile klimaschonend per Schiff abtransportieren zu können.
Bayernwerk, Regensburg
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Industriestandort Deutschland ist die Energiesicherheit und die absolut zuverlässige Versorgung – und natürlich der Preis der Energie. GABRETA Smart Grids nennt sich ein interessantes und von der EU unterstütztes Projekt, welches die Digitalisierung des Verteilnetzes beschleunigen soll. Beim Bayernwerk soll damit die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik gestärkt werden. Das Ziel ist, die wachsende Versorgung mit erneuerbarem Strom mit einem intelligenten Stromnetz sicher und widerstandsfähig zu machen. Das Projekt hilft, den europäischen Energiemarkt zu vervollständigen und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Gabreta ist übrigens die keltische Bezeichnung für das Gebiet das Bayerischen Walds und des Böhmerwalds.
N-ergie, Nürnberg
Den Energieversorger N-ergie besuchte ich gemeinsam mit Sascha Müller MdB. Photovoltaik boomt in der Region – und genau das macht dem Unternehmen paradoxerweise sehr zu schaffen. Oftmals muss Strom abgeriegelt, also vernichtet, aber dennoch bezahlt werden. So werden die Netzentgelte und damit die Stromkosten unnötig in die Höhe getrieben, statt sie zu senken. Günstige Energie von der Sonne sollte nicht weggeworfen werden müssen, aber um sie vollständig nutzen zu können, sind Speicher nötig. Mit Speichern können Erzeugungsspitzen aufgefangen werden und der Strom dem Verbrauch zu einer anderen Tageszeit zugeführt werden. Zu diesem Thema gibt es eine große Bitte an Berlin und an die EU: Die regulatorischen Rahmenbedingungen zu ändern und Anreize für netzdienliche Speicher zu schaffen.
IHK, Nürnberg
Bei der IHK Nürnberg war der Austausch hauptsächlich geprägt von Sorgen der Unternehmer:innen durch zu viel Bürokratie von Seiten der Bundesregierung, aber auch aus Europa. Die Firmen befürchten, die vielen Herausforderungen nicht mehr effizient meistern zu können. Die größten Probleme bereitet den Anwesenden aktuell das deutsche Lieferkettengesetz. Die Diskussionen vor Ort weisen auf Umsetzungsprobleme hin. Diese sind nicht einfach von der Hand zu weisen, und so wird bei diesem Thema im Moment überlegt, wie man das deutsche Lieferkettengesetz pragmatisch handhaben kann, bis die europäische Richtlinie zu Lieferketten in deutsches Recht umgesetzt ist. Am Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards ist aber nicht zu rütteln.
Daimler, Neu-Ulm
Bei Daimler Buses in Neu-Ulm ging es im Austausch mit der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat um die Verkehrswende und um die Standort- und Beschäftigungssicherung. Bei den Stadtbussen steht der Ausstieg vom Diesel fest auf der Roadmap. Für den Umstieg auf batterieelektrisch oder Wasserstoff kommt es nicht nur auf die Fahrzeuge an, sondern auch die Bushöfe brauchen Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur. Das Vorhaben der EU wurde allseits begrüßt, dass bis 2030 an den Hauptverkehrsachsen in Europa mindestens alle 60 Kilometer Ladesäulen stehen und ab 2030 alle 200 Kilometer eine Wasserstoff-Tankstelle errichtet wird. Der Reisebus kann aber erst dann vollständig vom Dieselmotor wegkommen, wenn die Infrastruktur ausgebaut ist und es auch an den Zielorten abseits der Autobahnen ausreichend Lade- und Tankmöglichkeiten gibt.
Chemiedreieck, Gendorf
Das Bayerische Chemiedreieck in den Landkreisen Altötting, Traunstein und Mühldorf am Inn ist der drittgrößte Chemiestandort in Deutschland. Nach einer Besichtigungsfahrt im Chemiepark Gendorf fand ein Austausch über Energie- und Industriepolitik in großer Runde mit dem Betreiber InfraServ und Unternehmensvertretern statt. Dabei wurden Probleme mit der EU-Regulierung, die lange Dauer von Genehmigungen, fehlende Planungssicherheit und über Energiepreise diskutiert. Insbesondere dringende Fragen zu essenziellen Chemikalien, die Europa für seine Versorgungssicherheit, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit braucht, kamen mit ins Gepäck für Gespräche in Berlin.
FAZIT: Der Wunsch nach Bürokratieabbau, Technologieklarheit und Schnelligkeit beim Auf- und Ausbau der Infrastruktur wurde an fast allen Stationen der Tour geäußert. Wir brauchen, um die Transformation zur Klimaneutralität sozialverträglich zu gestalten, eine moderne Industrie. Nur so können wir Arbeitsplätze und Wohlstand, und somit den Kitt für unsere solidarische Gemeinschaft, erhalten. Dafür ist die Industrie auf hilfreiche und nicht auf hinderliche politische Regelungen angewiesen. Um gute Regeln zu finden, ist der ständige Austausch von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften wertvoll und dringend nötig. Mit dem Praxis-Check-Verfahren, das das Bundeswirtschaftsministerium eingeführt hat, sollen schlankere und bessere Gesetze entstehen, für „Weniger Bürokratie – mehr Transformation“.
Ich habe erneut viel gelernt und erfahren, dass die Unternehmen gut unterwegs sind, aber auch, dass nicht alles rund läuft und an manchen Stellen nachjustiert werden muss. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten für den offenen, auch kritischen, aber immer konstruktiven Austausch.