Die Ukraine unterstützen – auch mit schweren Waffen
In den letzten Wochen habe ich einen Standpunkt vertreten, der viele überrascht hat: schwere Waffen an die Ukraine liefern.
Wie kommt man als Politiker eigentlich in so schwerwiegenden Fragen wie dieser zu einer Position?
Ich glaube, dass wir Politiker und Politikerinnen uns der Tatsache sehr bewusst sind, dass das was wir sagen, nicht einfach nur eine Meinung in einer Talkshow ist. Je nach unserem Einfluss können unsere Äußerungen das Leben von Menschen stark verändern. Die meisten Politiker:innen, jedenfalls die, die ich gut kenne, nehmen diese Meinungsfindung sehr ernst. Vor allem dann, wenn es um Leben und Tod geht, wie im Moment.
Ich schreibe dies, weil ich immer wieder in Gesprächen höre, wir Politiker:innen kämen schnell oder leichtfertig zu unseren Entscheidungen oder sagten bestimmte Dinge, um medial aufzufallen. Ja, so etwas gibt es, aber es ist seltener, als man denkt.
Das Folgende ist eigentlich selbstverständlich, aber ich möchte es trotzdem einmal darlegen: Ich habe in den letzten Wochen Unmengen zum Konflikt, zu militärischen Strategien gelesen, zu Putins Gedankenwelt und Plänen, darunter übrigens auch eine Rede, die er 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat und in der er seine Pläne zur Wiederherstellung eines Großrusslands angekündigt hat. Ich habe mit Energieexpertinnen, Militärexperten, Botschaftern, Vertretern der Rüstungsindustrie, Managerinnen, die Sorge um die Existenz ihrer Betriebe unter einem Gasembargo haben, gesprochen. Ich habe ein Büro und den wissenschaftlichen Dienst, die mir Informationen zuliefern. Ich war mit zwei weiteren Ausschussvorsitzenden in Polen und in der Ukraine, wir haben dort ukrainische Parlamentarierinnen, Soldaten und Soldatinnen und deren Eltern getroffen, Mitglieder der deutschen Botschaft in Polen. Hier in Berlin diskutieren wir gemeinsam in der Fraktion. Und es ist leider auch nicht der erste militärische Konflikt, mit dem wir uns beschäftigen, wir haben auch in den Bürgerkriegen von Afghanistan, Mali und Syrien mit militärischen Fragen intensiv zu tun gehabt und versucht zu verstehen, was die klügste Handlungsweise ist.
Eine solche fundierte Entscheidungsfindung ist der eine Teil von Arbeit in der Politik – der andere ist diese Entscheidungen dann auch umzusetzen. Genau dafür haben wir ein repräsentative Demokratie. Die meisten Kolleg:innen, jedenfalls die, die ich gut kenne, sind dabei äußerst sorgfältig. Ihnen ist klar, dass das, wofür sie sich einsetzen, Konsequenzen hat, schon allein deshalb, weil sie mit den Menschen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind, sprechen. Die meisten von uns leben eben nicht in einer Blase, sondern treffen sehr viele unterschiedliche Menschen, in Zügen, auf Festen, in Unternehmen und manchmal auch in Kriegsgebieten.
Warum schreibe ich all das? Einfach um deutlich zu machen, dass ich weiß, wie massiv die Konsequenzen unseres Handelns sind und wie schwer man es sich tatsächlich macht, zu einem Standpunkt zu kommen.
Im Falle des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine habe ich mich in den letzten Tagen für die Lieferung schwerer Waffen, zum Beispiel Panzer, ausgesprochen. Zur Entscheidungsfindung gehört auch, dass man immer wieder versucht, die Alternative zu seiner Position zu durchdenken.
Was also wäre die Alternative, wenn man sich mit der Lieferung von Waffen und auch schwerer Waffen zurückhielte? Die Folge wäre, dass Putin relativ bald eine Art Sieg vermelden könnte. Die Hoffnung bei dieser Variante ist, dass Putin sein Gesicht nicht verliert, am Ende ein für ihn akzeptabler Verhandlungsfrieden steht und er sich dann mit der Ukraine zufrieden gibt. Nach vielen Gesprächen halte ich das aber nicht für das realistischste Ergebnis. Ich glaube, dass er in so einem Fall den Krieg auf andere Länder ausweiten würde.
Warum? Schauen wir uns die Vergangenheit an. Putin setzt seit vielen Jahren einen Plan um, über den er ebenso lange offen spricht und schreibt. Er will Russland wieder zu einem Großrussischen Reich machen.
Putin lügt zwar aus taktischen Gründen jeden Tag, aber über das, was er strategisch vorhat, hat immer die Wahrheit gesagt: Er hat Georgien überfallen, er hat die russische Armee massiv aufgerüstet, er hat die Halbinsel Krim annektiert, er führt seit Jahren Krieg in der Ostukraine, 1.200 bis 1.500 russische Soldaten kontrollieren Transnistrien, ein Landesteil der Republik Moldau. Er will in die Geschichte eingehen, als der Mann, der wiederherstellt, was mit dem Ende der Sowjetunion aufgegeben wurde. Doch diesen Plan hätte er mit einer Eroberung oder Teileroberung der Ukraine nicht erreicht – die nächsten Ziele könnten Georgien oder weitere Teile der Republik Moldau sein. Selbst in Polen und in den baltischen Staaten, die als NATO-Mitglieder relativ geschützt sind, ist die Angst vor einem russischen Überfall seit Jahren riesig.
Doch wenn Putin die baltischen Staaten oder eben Polen angreift, tritt der NATO-Bündnisfall ein und dann wäre die NATO direkt verwickelt in einen Krieg mit Russland, mit allen schrecklichen Konsequenzen.
Und auch wenn Putin kein NATO-Land angreift: Je länger der Krieg dauert, desto größer wird die Gefahr, dass eine Rakete oder ein Marschflugkörper ihr Ziel verfehlt und auf NATO-Gebiet einschlägt. Es stimmt, es gibt für solche Unfälle direkte Kommunikationskanäle zwischen NATO und Russland, aber es gibt auch hier keine Garantie, dass es nicht doch zu einer versehentlichen Eskalation kommt.
Vor allem aber denke ich, dass Putin nicht aufhören wird. Er hat noch viele Panzer und noch viele Soldaten, Menschenleben zählen in seiner Welt nichts. Die Republik Moldau, Georgien, Armenien sind viel leichter zu erobern als die Ukraine, sie sind kleiner und haben dementsprechend kleinere und schwächere Armeen – die Ukraine hatte vor Kriegsbeginn über 40 Millionen Einwohner, Georgien 3,7 Millionen, die Republik Moldau 2,6 Millionen.
Deshalb muss er jetzt gestoppt werden – mit allen Möglichkeiten, die auch Deutschland hat und die wir derzeit nicht ausschöpfen. Damit es einen Frieden mit Putin gibt, muss ihm klar werden, dass seine Ambitionen das Russische Reich wiederzuerrichten nicht funktionieren in dieser Welt. Solange er nicht erkennt, dass dieser Plan zum Scheitern verurteilt ist, gibt es dort keinen Frieden.
Aber wird er, wenn er so in die Enge getrieben ist, nicht Atombomben zünden: Das ist Frage, die an dieser Stelle meistens kommt.
Auch in diesem Fall gibt es gesichtswahrende Lösungen. Im Moment scheinen ihm diese Varianten wenig attraktiv, aber sie werden ihm attraktiv erscheinen, wenn er weiter auf Widerstand stößt.
Im Grunde geht es also um die Frage, womit eine Ausweitung des Krieges wahrscheinlicher würde: Wenn man Putin jetzt gewähren lässt und die Ukraine nicht ernsthaft militärisch unterstützt – oder wenn man Putin jetzt mit aller Macht seine Grenzen aufzeigt. Ich denke, letzteres ist richtig, so komme ich zu meiner Entscheidung.
Und deshalb glaube ich, müssen wir ihn jetzt stoppen, in dem auch Deutschland schwere Waffen liefert. Auch hier ist die Sorge, dass wir Putin einen Vorwand liefern, das als Kriegserklärung zu betrachten, allerdings liefern bereits NATO-Staaten wie Holland oder die USA schwere Waffen: Wenn Putin Waffenlieferungen als Vorwand nehmen will, so könnte er dies jederzeit tun, völlig unabhängig vom Verhalten Deutschlands.
Wichtig sind an dieser Stelle noch zwei Argumente, ein geopolitisches und ein humanitäres:
Wenn Russland mit dem Eroberungskrieg davon kommt, ist das ein Signal in die ganze Welt: Eroberungskriege sind erfolgreich führbar. Das führt zu einer Militarisierung global. Es gibt in vielen Regionen der Welt Grenzen, die in Vergangenheit hin- und her geschoben wurden und auch Nationalisten, die imperiale Pläne haben. Wenn klar ist, dass Putin mit solchen Plänen durchkommt, so ist dies ein Präzendenzfall weltweit, dem viele Länder mit krasser Aufrüstung begegnen werden und auch mit einem Run auf Atombomben. Es wäre ein Rückfall in eine Welt, in der nicht internationales Recht gilt, sondern das Recht des Stärkeren. Und das in einer Zeit, in der wir wegen der Klimakrise dringend weltweit vertrauensvoll zusammenarbeiten müssen.
Und natürlich würden wir, wenn wir Putin gewähren ließen, auch die Interessen der demokratischen Ukraine und der Menschen dort ignorieren. Wenn die Ukraine verliert, werden die Menschen in den besetzten Teilen, ihre Selbstbestimmung, ihre Freiheit und das Recht auf ihre Kultur verlieren. Diese Menschen werden eingegliedert in eine Diktatur, die ihre Brutalität täglich zeigt.
Das sind die Hintergründe meiner Position. Zu diesem Ergebnis zu kommen, ist nichts, von dem man begeistert ist. Natürlich würde man sich wünschen über Verhandlungen, Diplomatie, Kompromisse weiterzukommmen, aber das funktioniert mit dem russischen Regime nicht, weil dessen Ziele so weit weg sind von den Zielen, die normale Regierungen haben: Handel, intakte Natur, das Wohlergehen der eigenen Bürgerinnen und Bürger. Stattdessen stellen wir fest, dass in Russland ein imperialistisches Denken dominiert, in dem das Schicksal Einzelner keine Rolle spielt.
Deshalb meine Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine. Sie mag manchen falsch erscheinen, aber eines ist sie nicht: unüberlegt.